Etappen: Guelmim, Tan Tan, Akhfennir, Tarfaya, Laayoune
Laayoune, es ist Mittag, die Sonne hat ihren Höchststand erreicht. Die meisten Geschäfte haben geschlossen, wenige Menschen sind auf der Straße, der Autoverkehr ist auf ein geringes Maß geschrumpft. Es ist die Zeit des Freitaggebetes, was unüberhörbar ist, da die Predigt des Imam mittels Lautsprecher im gesamten Stadtviertel zu hören ist.
Ich sitze in einem Cafe und lausche den Worten, deren Bedeutung ich nicht verstehe. Die Rhetorik erscheint mir kämpferisch und agressiv. Aber das hat nichts zu bedeuten, denn bei so manch einer Rede eines deutschen Politikers würde mir, könnte ich ich nur die Rhetorik deuten, auch Angst und bange werden. Hier geht es vielleicht nur um die Vermeidung von Sünden und die Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Gebote. Gott ist streng, der Tatsache muss auch irgendwie Ausdruck verliehen werden. Kürzlich habe ich gelesen, dass nach einer Umfrage sich gezeigt hat, dass 80% der muslimischen Kinder in Deutschland Angst vor Gott haben. Ich vermute, dass die Zahlen bei den Katholiken ähnlich sein könnten. Am späten Nachmittag werden die Geschäfte und Marktstände wieder geöffnet, die Menschen werden wieder auf der Straße gehen, Autos werden sich wieder durch die Menge der Fußgänger fädeln.
Die Stadt ist die Hauptstadt der von Südmarokko (Gebiet der Westsahara), wie das vor Jahrzehnten von Marokko annektierte Gebiet der ehemaligen spanischen Kolonie genannt werden soll. Es ist eine moderne Stadt in der Sahara und seit meines ersten Besuches vor 18 Jahren um ein Vielfaches gewachsen. Sie befindet sich in Mitten der Wüste und ist keineswegs verschlafen sondern pulsierend. Mitten auf einem großen Platz im Zentrum thront ein McDonalds mit Drive-In, daneben befindet sich ein großer moderner Springbrunnen. Ob die Stadt über nicht salzhaltiges Grundwasser verfügt, oder ob dieses in Aufbereitungsanlagen erzeugt werden muss, weiß ich nicht. Einen kleinen Flughafen gibt es schon seit der Zeit, als wagemutige französische Postflieger diese Stadt anflogen. Heute starten und landen hier kleine Passagier- und Cargoflieger, aber auch Kampfjets, die ein Teil des Gebietes der Westsahara überwachen. Der nächste Stützpunkt befindet sich in Dakhla weiter südlich.
Die Nationalstraße N1 führte mich in vier Etappen, jede um die Einhundert Kilometer lang, von Guelmim, dann Tan Tan, Akhfennier und Tarfaya hierher nach Laayoune. Meist fuhr ich mit dem Fahrrad entlang der Küste der Westsahara.Es sind etwas mehr als vierhundert Kilometer Wüste, die hinter mir liegen. Die bisher anstrengendste Etappe war dieses Mal die erste, die einhundertdreißig Kilometer von Guelmim nach Tan Tan, der Einstig in die Westsahara. Der starke Wind wehte aus einer für mich ungünstigen Richtung und zwang mich dazu, meist in einem kleinen Gang langsam mit dem Fahrrad zu fahren. Ich hatte noch nicht die Hälfte der Strecke absolviert, musste ich meinen Plan, die Etappe an einem Tag zu fahren, verwerfen. Um nach einem Platz zum Zelten Ausschau zu halten, war es aber noch zu früh, also radelte ich weiter. Am späten Nachmittag bemerkte ich dann, dass es bis zum angestrebten Ziel nur noch vierzig Kilometer zu bewältigen galt und so beflügelte mich die Aussicht auf ein gutes Abendessen doch noch weiter durchzuhalten und ich erreichte die Stadt als der glutrote Feuerball der Sonne scheinbar die Hausdächer von Tan Tan berührte.
Wildes Zelten wäre auf diesem Abschnitt der Strecke noch möglich gewesen. Ab Tan Tan im Gebiet der Westsahara, bis hinunter zur Grenze zu Mauretanien ist dies nicht mehr möglich. Die königliche Gendarmerie überwacht und registriert jegliche Bewegung, die ein Fahrradreisender in diesem großen gebiet macht. An den zahlreichen Posten, meist in der Nähe von Ortschaften gelegen, werden die Daten eines Reisenden auf einem Fahrrad genau erfasst. Man wird gefragt, welche Route man einschlagen möchte und wo man vor hat zu nächtigen. Ist der Abstand der Ortschaften, die eine Übernachtungsmöglichkeit bieten zu groß, so hat man sich am Abend beim nächsten Posten einzufinden, wo man dann sein Zelt aufstellen darf. Ein Berliner Reiseradler, den ich in Sidi Ifni traf und gerade aus Laayoune kam, änderte seine Pläne nach der Befragung kurzfristig und radelte zu der Kleinen Ortschaft Laayoune Plage ca. 20 Kilometer von Laayoune an der Küste gelegen. Er bekam am folgenden Tag am nächsten Posten Scherereien, denn man hatte ihn zwischenzeitlich gesucht. Auf der Etappe, die mich nach Tarfaya führte, stand ungefähr zwanzig Kilometer vor der Stadt ein Polizeiwagen am Strand. Da dort die Küste wegen ihrer Nähe zu den Kanarischen Inseln stark überwacht wird, trotzdem starten hier immer wieder Flüchtlingsboote, dachte ich mir nichts dabei, bis ich bemerkte, dass dieses Polizeiauto in diskretem Abstand verfolgte. In Tarfaya angekommen, hielt ich an, lief zu den Polizisten zurück, die ebenfalls angehalten hatten, reichte ihnen meinen Pass und bat sie um die Adresse einer günstigen Unterkunft. Nun fuhr der Polizeiwagen voraus und ich hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Problemlos eine gute Unterkunft gefunden und den Argwohn der Beamten ausgeräumt. Hilfreich bei jeder Kontrolle ist ein sogenanntes „Fiche“, ein Datenblatt mit Passnummer etc., das man den Polizisten übergibt, was ihnen einiges an Schreibarbeit erspart, sie meist freundlich und hilfsbereit stimmt und die Prozedur der Kontrolle beschleunigt. Die Vorlage für mein Fiche fand ich im Internet. Es ist eines der wichtigsten Dukumente in der Westsahara.
Zusammenfassend möchte ich an dieser Stelle nochmals erwähnen, dass ,wer glaubt, er könne auf einer Fahrradreise durch die Westsahara sein Zelt wild, romantisch und frei irgendwo in den Dünen oder am Strand aufbauen, der irrt. Die Gründe dafür, so spekuliere ich, sind einerseits die politisch angespannte Situation in dieser Region, aber sicherlich auch das bestreben der Behörden größtmögliche Sicherheit der Touristen zu gewährleisten. Eine Volkswirtschaft, die zunehmend auf den Faktor Tourismus setzt, kann keine schlechte Presse über verschollene, ausgeraubte oder entführte Touristen gebrauchen. Die Situation soll, wie ich hörte, jenseits der Grenze in Mauretanien nicht anders sein.
Diese Transsahara-Straße, die durch drei Staaten bis nach Dakar führt, seit 2005 ist sie auch in Mauretanien asphaltiert, ist ein wichtiger Bestandteil der Infrastruktur für ganz Westafrika. Sämtliche Güter, die nicht über den Seeweg oder per Luftfracht nach Westafrika transportiert werden, rollen über diese Straße. Nun darf man die Verkehrsdichte nicht mit der A2 in Deutschland vergleichen, aber man wird auf einer Tagesetappe schon von einigen Sattelschleppern überholt, was manchmal recht knifflige Situationen hervor ruft. Die Straße ist, wenn man die ausgefransten Ränder, die es oft gibt, dazu rechnet, ungefähr fünf bis sechs Meter breit. Zwei Sattelschlepper, kommen meist gut aneinander vorbei. Anders verhält es sich, wenn zusätzlich ein bepackter Fahrradfahrer bei starkem Seitenwind auf der Straße herum schlingert. Ist der Fahrradfahrer aufmerksam, dann lenkt er sein Gefährt schnell auf den Schotter des Seitenstreifens, macht eine Vollbremsung und lässt die sich entgegenkommenden oder überholenden LKWs passieren. Ansonsten kann er sich davon überzeugen, mit wie viel Augenmaß der den Radler überholende Kraftfahrer seinen Zigtonner dicht am Lenkerende des Fahrrades vorbeiführen kann. Gebremst wird selten, habe ich aber auch schon erlebt. Nur ist Bremsen auf einem abschüssigen Straßenabschnit mit der tonnenschweren Fracht nicht immer möglich.
Zwischen Tarfaya und Laayoune gibt es zwei Straßen. Zum einen die N1 und zum anderen die etwas neuere Route entlang der Küste. Ich bevorzugte auch auf dieser Tour durch die Westsahara die Küstenstraße. Nach ca. einhundert Kilometern erreicht man dann Laayoune Plage. Dort gibt es einen Campingplatz und auch ein paar Einkaufsmöglichkeiten. Möchte man dann in die Stadt Laayoune, so muss man fast 20 Kilometer auf einer vierspurigen, stark befahrenen Autobahn radeln. Das macht keinen Spaß. Die Route entlang der Küste ist für meinen Geschmack die landschaftlich schönere. Es gibt aber auf dieser Strecke keine Versorgungsmöglichkeit, es muss auf jeden Fall genügend Wasser mitgeführt werden.
Die Stadt Akhfennier, ich würde eher von einem Dorf sprechen, lebt größtenteils von den Sattelschleppern, die dort rasten. Die Fahrer essen und übernachten dort. Morgens um sieben, wenn die Motoren warm laufen, ist die Hauptstraße erfüllt von dem Lärm. Viehzucht und Gemüseanbau ist in diesem Ort nicht möglich, es ist keine Oase, sondern ein großer Rastplatz. Versuche dort Gemüsefelder zu etablieren, scheiterten am hohen Salzgehalt des Brunnenwassers. Zur Süßwassergewinnung nutzt man eine Aufbereitungsanlage, deren Kapazität für den Anbau von Gemüse nicht ausreicht. Ich hatte nicht vor, die Nacht dort zu verbringen, denn zwanzig Kilometer westlich gibt es einen Nationalpark, in dem ich vor zwei Jahren mein Zelt mit Billigung der Gendarmerie aufgestellt hatte. Diesen Plan machte dieses Mal der örtliche Ordnungshüter zunichte. Er bestand darauf, es war nachmittags, dass ich an diesem Abend im Ort zu verbleiben hätte und versicherte mir, dass er dies kontrollieren würde. Ich musste mich fügen, was mir am Abend im Cafe die Bekanntschaft eines Herrn brachte, der gut deutsch spricht. Mit ihm verbrachte ich eine kurzweilige Zeit, in der ich viel über die Region erfuhr. So ist man hier im Moment auch sehr erstaunt über das Wetter zu dieser Jahreszeit, denn es ist viel zu kalt, wie mir nun schon mehrere Leute versicherten. Der beständig kühle Wind treibt den Sand vor sich her und meine mit Sonnenschutz behandelten Waden werden sandgestrahlt und paniert. Der Rest meines Körpers ist bedeckt, nicht nur aus Sonnenschutzgründen. Finde ich ein Pausenplätzchen im Windschatten, was kaum vor kommt, werde ich von der starken Sonneneinstrahlung gegrillt. Eine Pause am Straßenrand in der Westsahara ist ein kurioses unterfangen. Die Zubereitung eines Brotes ist ohne eine ordentliche Portion Sand nicht möglich. Ich sitze dann auf dem Boden mit dem Rücken zur Windrichtung und lasse die Sandkörner auf meinem Rücken prasseln. Nach zehn Minuten reicht es mir und ich fahre weiter.