Ein Paket, versendet auf dem billigsten und langsamsten Versandweg, noch dazu in der Vorweihnachtszeit und ins Ausland nach Marokko, braucht ewig. Meine Bitte dieses Paket auf dem bevorzugten Expressweg zu verschicken, wurde schlichtweg ignoriert. Stattdessen gab man sich ein wenig genervt, als ich versuchte, einen alternativen Versand anzuleiern. Nach dreieinhalb Wochen waren die dringend benötigten Bauteile zum Umbau meines Fahrrades – und daran hat sich bis zum momentanen Zeitpunkt nichts geändert – nicht eingetroffen, ich saß fest.
Am 24.12. also Heiligabend, offenbarte mir mein Gastgegber, dass es inzwischen eine Möglichkeit gäbe. Wir fuhren in die Werkstatt des ehemaligen Fahrradmechanikers der Equipe National, denn dort befanden sich inzwischen ein Satz Fahrradspeichen, nicht die, auf die ich vergeblich wartete, aber welche von höchster Qualität. Wie die Jungs in der Zeit daran gekommen sind, werde ich nie erfahren, von Logistik, so scheint es, haben sie mehr Ahnung als manch anderer. Das war mein Weihnachtsgeschenk. Noch am gleichen Abend wurde mein Hinterrad neu eingespeicht.
Es vergingen noch 4 Tage, an denen ich mich zum Landausflug begab, Essenseinladungen wahrnahm und auf dem Fahrrad Proberunden in der Umgebung von Safi absolvierte. Nun wollte ich die Fahrrad - Reise fortsetzen.
Nach dem letzten gemeinsamen Frühstück und einem herzlichen Abschied von meinen Gastebern, startete ich mit dem Fahrrad in Safi, die Küstenstraße nehmend in Richtung Essaouira. Der Weg führte zunächst durch ein Industriegebiet, aber dann, wie ich finde, durch eine sehr schöne hügelige Landschaft, ich kam gut voran. Am Abend fand ich einen netten Platz zu Campen in einem Wäldchen aus Tujagehölz, ein kleiner Dschungel. Am darauf folgenden Morgen, ich hatte leider meine Essensvorräte aufgebraucht, startete ich ohne Frühstück, und plagte mich mit leerem Magen über die heftigen Steigungen. In Essaouira habe ich dann Vorräte gebunkert.
Zwischen Essaouira und Agadir befinden sich einige Gebirgskämme, es sind Ausläufer des Atlasgebirges, welches sich durch ganz Marokko zieht und bis zum Atlantik reicht. Die Hügel wurden allmählich höher, die Abstände zwischen den Ortschaften größer. Zwischen Argan- und Olivenbäumen weiden Schafe, Ziegen und manchmal auch Kamele, die man hier jetzt häufiger sieht. Am späten Nachmittag hatte ich meinen ersten kleinen Pass auf dieser Radreise zu bewältigen und kurbelte im Schneckentempo bergauf. Ich wurde belohnt, oben bot sich mir eine wunderbare Aussicht. Die Sonne stand schon ziemlich tief und es wurde langsam Zeit einen Platz zum Zelten zu finden. Auf dem Berg fand ich entweder dorniges Gestrüpp oder steiniges, abfallendes Gelände vor. Im Tal hatte ich dann eine Wiese hinter einem kleinen Dorf gesehen und fragte ein paar ältere Herren, die gerade mit der Reparatur eines Mopets beschäftigt waren, ob ich auf dieser Wiese für eine Nacht mein Zelt aufbauen könne.
Zehn Minuten später hockte ich auf einer Strohmatte vor einem kleinen, runden Tisch, trank Tee, aß Brot und Datteln. Man hatte mich kurzer Hand in den Schulungsraum für Koranschüler der Moschee einquartiert. Später dann, ich hatte mich zurück gezogen, die Sonne war gerade untergegangen, krächzte der Muhezzin und Korangelerte, der arme Kerl war schwer erkältet, ein wenig heiser und hatte vorher von mir noch zwei Aspirin gegen seine Kopfschmerzen erhalten, seinen Aufruf zum ersten Abendgebet. Dann kam das, was kommen mußte, was ich schon vorher geahnt hatte, ich wurde von ihm zum Gebet geladen. Irgendwie gelang es mir mit den Worten „Moi Issa = Ich Jesus“ - Issa ist das arabische Wort für Jesus- ihm klar zu machen, dass ich ein Anhänger des Propheten Jesus, also Christ bin, worauf er tiefgründig lächelnd wieder von dannen schritt. Trotzdem saßen wir nach dem zweiten Gebet beide an seinem Tisch und futterten Couscous aus seiner Schüssel. Die Unterstützung eines Reisenden ist ein Gebot des Korans. Den Rest des Abends verbrachte ich lesend und mit der Niederschrift einiger dieser Zeilen in Gesellschaft eines sehr aktiven Nagetiers, das offensichtlich das den als einziges Möbelstück im Raum befindlichen Schreibtisch, als sein neues Domizil ausbaut. Hauptsache es ist nicht mein Fahrrad
Am darauf folgenden Morgen war mir klar, dass Strohmatten auch nicht weicher sind als meine dünne Isomatte. Ich wurde vor meiner Abreise noch zum Frühstück eingeladen, bestehend aus Tee und Fladenbrot, welches man in Olivenöl stippt, ein Frühstück, ich hatte es in den letzten Wochen schon öfters genossen, das durchaus schmackhaft, sättigend und bekömmlich ist. Zum Abschied wurden mir noch drei Fladenbrote überreicht, die mich über die nächsten Berge bringen sollten, was sie auch taten.
Die Nächste Etappe führte mich 110 Km durch die Berge und zum Schluß entlang der Steilküste Richtung Agadir. Wunderschön, aber auch anstrengend. Es war schon dunkel, als ich einen Campingplatz 20 Km vor Agadir erreichte. In diesem touristisch erschlossenem Gebiet haben Wildcamper keine Möglichkeiten. Todmüde und erschöpft habe ich zu einem vergleichsweise irrem Preis mein Zelt zwischen Wohnmobilen, die an Komfort nichts offen lassen, aufgebaut, an meinem Brot genagt und die Sylvesterparties um mich herum am Rande wahrgenommen. Was für ein Kontrast. Diesen Küstenabschnitt hatte ich schon einmal vor 13 Jahren besucht und wusste, dass hier in der Zwischenzeit einiges gebaut wurde. Allerdings waren mir die Ausmaße nicht bewusst. Wo sich früher noch ein orientalischer Marktplatz befand, steht heute ein Betonklotz. Ich hatte Mühe, die Orte von damals wieder zu erkennen. So habe ich auch den Besuch des Paradise Valley gestrichen. Es ist manchmal schlauer seine Erinnerungen vor der Gegenwart zu schützen.