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Gastfreundschaft und Kameradschaftlichkeit in Safi

Mai 5, 2020 - Lesezeit: 7 Minuten

Wie der geneigte Leser der vorangegangenen Berichte entnehmen konnte, hat mein Fahrrad, besser gesagt die Konstruktion meines Hinterrades, sich als nicht tauglich für eine Radreise erwiesen. Ich stand nun der Tatsache gegenüber, dass ich, in der Stadt Safi festsitzend, mich gedulden muss, bis ein Paket mit Ersatzteilen aus Deutschland für mich hier in Marokko eintrifft.

Wie schon bereits berichtet, fand ich bei der Familie eines hiesigen Radsportlers Unterschlupf und mir werden, sobald das Paket dann eintreffen sollte, die zur Montage nötigen Werkzeuge zur Verfügung gestellt. Ich hatte auch schon darüber berichtet, dass ich, um die Gastfreundschaft meiner Gastgeber nicht all zu sehr zu strapazieren, mich für einige Tage nach Marrakesch begab.

Nun bin ich, einer irreführenden Angabe eines deutschen Logistikunternehmens folgend, wieder in Safi zurückgekehrt und muss feststellen, dass sich der Versand eines Paketes mit drei Artikeln Inhalt für alle Beteiligten schwerer gestaltet, als man gemeinhin annehmen würde.

So genieße ich also schon seit mehreren Tagen erneut die Gastfreundschaft meiner Gastgeber. Aufgrund der Unkenntnis der religiös geprägten Traditionen und der gesellschaftlichen Regeln, ist dieser Umstand für mich nicht immer leicht, denn ich weiß oft nicht so genau wie ich mich zu verhalten habe. Aufmerksamkeit und Feingefühl meinerseits sind rund um die Uhr gefordert. Zum Beispiel traue ich mich nicht mich frei im Haus zu bewegen, da ich feststellen muss, dass mir die Damen aus dem Haus, sicherlich weil es anders herum nicht schicklich ist, aus dem Wege gehen. Wenn ich mich auf der Dachterrasse befinde, wird man mit dem Aufhängen der Wäsche warten, bis ich wieder weg bin. Nun ist es aber mein bestreben, anwesende Familienmitglieder nach Möglichkeit nicht in ihren Verrichtungen zu stören. Das Männer und Frauen die Mahlzeiten getrennt einnehmen, gehört auch zur religiösen Tradition, die in dieser Familie sehr ernst genommen wird. Ich werde bekocht und umsorgt, meine Wäsche wird gewaschen, ich werde zu Freunden mitgenommen, kurz gesagt: Ich werde rund um die Uhr liebevoll betreut, was mir peinlicher wird, je länger sich meine Weiterreise hinauszögert. Als ich das Thema ansprach und einen Umzug in ein Hotel vorschlug, wurde mir jedenfalls versichert, das es keine Probleme gäbe, aber ich ahne letztlich auch, dass gemäß islamischer Tradition dieser Umzug auch einer Beleidigung gleichen würde. Ich solle mir keinen Kopf machen, alles ist gut.

Inzwischen bin ich nicht nur bei allen Radsportlern der Umgebung bekannt, sie haben mir schon einen Spitznamen verliehen, „die Berühmtheit“ oder so ähnlich, sondern auch bei den Nachbarn in der Straße in der ich wohne. Sonntags nehme ich, allerdings im Begleitfahrzeug, am Radsporttraining teil und helfe in Windeseile platte Laufräder zu wechseln oder Straßenkreuzungen abzusperren.

Nach dem Training, ca. 120 Km in wenig mehr als drei Stunden, trifft sich die ganze Mannschaft, ein bunter und lustiger Haufen, zum Essen. 20 junge Männer, hungrig wie die Wölfe, langen dann zu. Gegessen wird hier mit der Hand aus einer einzigen Schüssel, Löffel werden nur für die Suppe benutzt, Gabeln bleiben in der Schublade und da ich mich anpassen möchte legte ich schon das mir bereitgelegte Besteck seit dem ersten Tag beiseite. Was für ein Schlachtfeld offenbart sich nach dem Essen auf dem Tisch, unglaublich. Drei Minuten später sind aber sämtliche Hühnerknochen wieder eingesammelt und der Tisch ist blank geputzt. Dann beginnt die Schlacht um den Nachtisch und die Prozedur wiederholt sich.

Es ist bemerkenswert, wie kameradschaftlich die Sportfreunde miteinander umgehen und dies bei aller Konkurrenz, die es auf sportlicher Ebene sicherlich gibt. Es tut gut dabei zu sein, auch wenn ich aufgrund der sprachlichen Barriere immer ein Stück außen vor bin.

Zur Stadt Safi lese ich in meinem Reiseführer, dass diese Stadt eine nicht besonders ansehnliche Industrie- und Hafenstadt ist, die für den Touristen nicht sehr viele Highlights parat hält. Diese Ansicht kann ich so nicht teilen. Sicherlich kann die Stadt nicht mit Marrakesch hinsichtlich Palästen und  anderen Baudenkmälern konkurrieren, aber ein Besuch der Altstadt und des angrenzenden Töpferviertels lohnt sich allemal, zudem sich der Besucher hier frei bewegen kann und nicht von Geschäftemachern bedrängt wird. Es gibt eine sehenswerte Burg mit einem Töpfereimuseum und einer wunderbaren Aussicht auf die Stadt und dem Ozean. Ein Besuch der Werften im Hafen ermöglichen einen Blick auf die traditionelle Schiffsbauweise. Auch die größeren Fischerboote werden aus Holz gefertigt. Außerdem vefügt die Stadt über für jeden frei zugängliche Parkanlagen, was ich in den bisher besuchten Städten so nicht vorgefunden habe. Dort werden für ummauerte Parks Eintrittsgelder verlangt. Südlich der Stadt befindet sich das Industriegebiet, welches natürlich, wie alle Anlagen dieser Art, nicht so sehenswert bzw. riechenswert ist. Auf meinem Weg nach Essauire werde ich dort durch müssen.

Wann dies sein wird, steht zumindest zu dem Zeitpunkt dieser Niederschrift, in den Sternen. So habe ich heute erfahren, dass mein Paket, entgegengesetzt zu der Information, die ich vor einigen Tagen erhielt, nicht einmal Deutschland verlassen hat. Und so bewahrheitet sich meine Befürchtung, dass die sog. afrikanischen Verhältnisse schon weit auf der anderen Seite des Mittelmeeres  vorherrschen.

Heute werde ich auf den Markt gehen, was zwei Hühnern das Leben kosten wird und dazu noch Gemüse besorgen um meinen Beitrag am Haushalt meiner Gastgeber zu leisten.
Dazu gehe ich wie folgt vor:
Zunächst suche ich den Geflügelmarkt auf und wähle die Delinquenten aus und verhandle den Preis. Dann wird auf dem Gemüsemarkt das Gemüse gekauft. Anschließend geht es zurück zu den Hühnern, die inzwischen einen Kopf kürzer, gerupft und ausgenommen sind. Dann, ca. 2-3 Stunden später, befinden sich dieselben gegart und pikant gewürzt auf der Tafel. Frischer geht es wohl nicht. An den Verkaufsständen der Fleischereien hängt meist ein halber Hammel vor der Tür, von dem ich annehme, das er erst in den Morgenstunden das zeitliche gesegnet hat, mitten auf der Straße, der sicherlich auch von der einen oder anderen Fliege besucht wurde.
Als ich mit meinem Gastegeber auf dem Markt war, konnte ich beobachten, wie kritisch und sachkundig die Waren, die wir gekauft haben, überprüft wurden. Daraus schließe ich, dass Gammelfleischskandale, wie wir sie aus unserer Welt der ununterbrochenen Kühlketten kennen, sicherlich kaum möglich sind. Der Händler, der sich erwischen lassen würde, könnte sein Geschäft dicht machen, müsste eine neue Existenz gründen, denn er ist dem Verbraucher persönlich bekannt, er ist ja auch ein Nachbar. Altes, schrumpliges Gemüse wird aussortiert und auf Eselkarren verladen, um dann, so vermute ich, der Nutztierfütterung zur Verfügung gestellt.

Es gibt auch Supermärkte in Safi, die werden allerdings nur spärlich besucht. Mir kommt es so vor, dass sie meist nur von den Menschen der gehobenen Schicht besucht werden. Vielleicht gehört der Einkauf in einem Tempel dieser Art zu den Statussymbolen. In den Supermärkten gibt es auch Abteilungen für Bier, Wein und Spirituosen, die in ihrer Größe und Umfang des Warenangebotes in keiner Weise einer Spritabteilung eines deutschen Supermarktes nachstehen.Wenn der Konsum von Alkohol in Marokko auch verpönt ist und es niemand offen zugibt, so habe ich auch schon den einen oder anderen Volltrunkenen auf der Straße beobachten können. Als ich mein Zelt in Strandnähe aufgebaut hatte, hatten mich doch einige Landarbeiter abends besucht und bei mir nach Spirituosen nachgefragt. Meinen ersten Platten am Fahrrad habe ich mir dann auch kurioser Weise  geholt, als ich das Bike versehentlich in einem grünen Scherbenhaufen einer Bierflasche auf einer Wiese parkte. Vom Alkohol mal abgesehen bekommt man auf dem Markt an der Straße alles zu kaufen. Nicht nur Lebensmittel sondern Textilien, Elektronikartikel, Möbel, Fahrräder usw. Speziell in den späten Nachmittagsstunden und am Abend sind die Gassen zwischen den Verkaufsständen derartig überfüllt, das man in dem Geschiebe und Gedränge kaum vorankommt.

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